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Affiliate.de-Betreiber Stefan Zwanzger besuchte am 14. Januar 2005 die deutsche Niederlassung der Europäischen Union in Berlin und sprach mit dem Leiter der Kommissions-Vertretung Dr. Gerhard Sabathil über die (Niederlassungs-)Freiheiten innerhalb der größer gewordenen EU und über so manche Hürden, die dieser Freiheit noch im Weg stehen:
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Dr. Gerhard Sabathil: "Die erste Berufspflicht eines europäischen Beamten ist Optimismus"
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Affiliate.de: Herr Dr. Sabathil, die EU- Kommission ist "die Hüterin" der EU-Verträge und wacht zusammen mit dem Gerichtshof über die ordnungsgemäße Anwendung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten". Sie sind der Leiter der deutschen Vertretung dieser Kommission. Was sind Ihre Aufgaben?
EU-Kommission: Die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland mit folgenden drei Schwerpunkten: erstens die tägliche Arbeit an den Beziehungen, d.h. Austausch, Berichterstattung und Besuche. Zweitens die Information der Öffentlichkeit durch Pressearbeit bis hin zur persönlichen Beratung über EU-Binnemarktfragen. Drittens die Abwicklung von informationsbezogenen Geldern, was die großen europäischen Themen wie Euro oder Erweiterung, aber auch z.B. den Europatag angeht.
Affiliate.de: Unser Thema soll die Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union sein, über die die wenigsten wirklich Bescheid wissen...
EU-Kommission: Es gibt drei Bereiche der Niederlassungsfreiheit: die Dienstleistungsfreiheit, der freie Kapitalverkehr und die private Niederlassungsfreiheit. Zwischen diesen muss unterschieden werden. Diese drei Bestandteile gelten in allen 25 Mitgliedsstaaten sowie den angeschlossenen Staaten des Wirtschaftsraums Norwegen, Island und Lichtenstein. In einem solchen Konglomerat gibt es allerdings nach wie vor Übergangsbestimmungen: z.B. eine eingeschränkte Arbeitnehmer-Freizügigkeit, die Arbeitnehmer der neuen Mitgliedsstaaten Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen, Estland, Lettland, Litauen betrifft, wenn Sie in Deutschland arbeiten möchten. Auch in anderen Bereichen gibt es Sonderregelungen, die alle in Brüssel für das eine oder andere Land abgesegnet wurden, z.B. was Zweitwohnungen in Dänemark und in Österreich anbelangt oder was Landverkauf und Erwerb von Grund und Boden in den neuen Mitgliedsländern betrifft. Die prinzipielle Niederlassungs-freiheit in diesen drei Bereichen gibt es aber überall, auch wenn es in Einzelfragen ein sehr diffiziles Feld sein kann.
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Im gepflegten Gary Cooper Stil. Europäische Beamten sehen anders aus als ihre deutschen Kollegen
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Affiliate.de: D.h. dass jeder Bürger oder Unternehmer innerhalb eines Tages z.B. von Berlin nach Prag umsiedeln kann und ihn niemand daran hindert, richtig?
EU-Kommission: Ja, das ist die Idee und so ist es auch.
Affiliate.de: Deutschland sieht seine Leistungsträger natürlich nicht gerne das Land verlassen. Deswegen hat es die sog. „Wegzugsteuer“ festgesetzt, die vorsieht, dass man bei Wegzug aus Deutschland - allerdings nicht bei Umzug innerhalb Deutschlands - Steuern auf alle in der Firma befindlichen stille Reserven zahlen muss. Diese Steuer verstoße gegen EU-Recht und werde gerade von der EU-Kommission geprüft, las man in der Presse...
EU-Kommission: Das ist richtig. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die deutsche Wegzugssteuer die Niederlassungsfreiheit bzw. Freizügigkeit von EU-Bürgern in unangemessener Weise behindert. Am 11. März 2004 hat der EugH bereits im Fall "de Lasteryie du Saillant" eine mit der deutschen Wegzugsteuer stark verwandte Steuer in Frankreich für europarechtswidrig erklärt. Wir haben die Bundesregierung am 19. April 2004 zur Aufhebung der Webzugsbesteuerung aufgefordert.
Affiliate.de: Wie ist der Stand der Dinge?
EU-Kommission: Die Bundesregierung hat die Kommission am 14. Februar 2005 darüber informiert, dass sie sicherstellt, dass auch in diesem Bereich EU-Recht umgesetzt wird. Die Kommission wird nach Eingang dieser Bestimmungen prüfen, inwiefern sie wirklich rechtskonform sind. Sollte dies der Fall sein, hat sich das angestoßene Vertragsverletzungsverfahren erledigt.
Affiliate.de: Alleine knapp ein Jahr hat die Regierung gebraucht, um zu antworten. Und jetzt wartet die EU-Kommission wieder. Ist das angesichts der Globalisierung und Reformbereitschaft anderer europäischer Staaten nicht eine unglaublich lange Zeit?
EU-Kommission: Manche Angelegenheiten nehmen ihren Weg bis hoch zum Europäischen Gerichtshof, dadurch ist die Verfahrensdauer dann auch entsprechend länger. Es braucht eben seine Zeit von den Vorschlägen der Kommission, der vorherigen Konsultationsphase, dem Gang durch die Institutionen bis hin zur Umsetzung in den Mitgliedsstaaten. Wenn die Entscheidungen der Kommission von Seiten der Mitgliedsstaaten nicht eingehalten werden, wird erst vom EuGH endgültig entschieden. Dasselbe gilt übrigens auch für die Vertragsverletzungsverfahren. Wir hatten im Bereich des Umweltschutzes einen Fall in der Geschichte der EU, bei dem Griechenland vom EuGH zu Geldstrafen verurteilt wurde, weil es die rechten Entscheidungen aus Brüssel nicht umgesetzt hat. Aber Deutschland ist ja jetzt auf dem Weg, die Wegzugssteuer EU-Recht anzupassen.
Affiliate.de: Generell: kann die Europäische Union Deutschland dazu zwingen, EU-Recht umzusetzen?
EU-Kommission: Ja, spätestens durch einen Prozess vor dem EugH. Die EU hat in ihrer Geschichte in allen großen Fragen am Ende immer Recht behalten. Nur 3% der Prozesse wurden vom EuGH zugunsten des klagenden Mitgliedstaates entschieden.
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"Die Deutschen sind manchmal zu sehr das Volk der Dichter und Denker und zuwenig der Macher!"
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Affiliate.de: Sie waren in Island und Norwegen Botschafter der EU, in Prag dozieren Sie an der Universität - Sie haben Europa aus vielen Perspektiven gesehen. Würden Sie sagen, dass die Deutschen einen kleinen, aber festetablierten Drall zum Negativen haben? Oder ist das nur ein Klischee?
EU-Kommission: Ich denke, die Deutschen sind manchmal zu sehr das Volk der Dichter und Denker und zu wenig der Macher und Anpacker! Aber da sind wir nicht allein auf weiter Flur. Tschechien zum Beispiel steht Deutschland in nichts nach, auch Kafka hat ja in Prag gelebt und dort gelitten. Wir haben dank des gerade veröffentlichten Eurobarometers festgestellt, das die Deutschen, was die Einschätzung der persönlichen Lebenssituation angeht, im Mittelfeld sind; was jedoch die Zukunftserwartungen anbelangt, belegt Deutschland den vorletzten Platz in der Europäischen Union. Die Mehrzahl der Deutschen schätzen ihre Zukunft schlechter ein als ihre gegenwärtige Situation. 2 von 3 Deutschen haben außerdem eine ausgeprägte Sorge vor weiteren Erweiterungen der Europäischen Union. Menschen aus anderen EU-Ländern ziehen aus der gegenwärtigen Lebenssituation wahrscheinlich mehr Optimismus und die Kraft, auch zukünftige Probleme anzugehen. Das hat sich in diesen Umfragen gerade wieder sehr bestätigt und deckt sich auch mit meiner Lebenserfahrung.
Affiliate.de: Wer belegt denn Platz Nr. 1 beim Zukunftsoptimismus und wer sieht die Zukunft noch schwärzer als Deutschland?
EU-Kommission: Sehr weit vorne liegen Spanien, Portugal, Dänemark, Estland. Den letzten Platz in der Zukunftserwartung haben die Tschechen inne, kurz hinter Deutschland. Ich verstehe das auch ganz gut, die Deutschen und die Tschechen sind sehr eng verwandt. Ich selbst habe eine tschechische Familie mit Frau und Kindern!
Affiliate.de: Vielleicht kennen Sie das Buch "The European Dream" vom US-Amerikaner Jeremy Rifkin. Er schreibt, die Europäer hätten den besseren Traum als die Amerikaner, aber sie könnten an ihrem Pessimismus scheitern. Was halten Sie davon?
EU-Kommission: Ich habe davon gehört, muss aber ehrlich zugeben, dass ich das Buch nicht gelesen habe. Es gibt mittlerweile einige Bücher und Zeitungsartikel zu diesem Thema. Ich finde es bemerkenswert, dass die Amerikaner - zumindest im Bereich der intellektuellen Autoren - erkennen, dass die Europäer aus der Geschichte gelernt haben und im Begriff sind einen Kontinent zu bauen, der auf dem richtigen Weg ist und den amerikanischen Traum auch mitvollzieht. Benjamin Franklin hat ja bereits beim Zustandekommen der amerikanischen Verfassung 1787 dem europäischen Volk empfohlen, dasselbe auch in Europa zu tun. Ich glaube in diesen Büchern und Artikeln schwingt die Anerkennung dessen mit, was die Europäer hier nach gerade mal 60 Jahren Frieden auf ihrem Kontinent auf die Beine stellen. Ich hatte erst gestern ein anderes Buch in den Händen: "die europäische Verfassung - geschrieben für Amerikaner"! Man beschäftigt sich in Amerika zur Zeit verstärkt, wenn auch nicht all zu sehr, mit Europa. Das hängt nicht zuletzt mit den Ereignissen in den letzten 2 Jahren zusammen, in denen die unterschiedlichen Auffassungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis sehr stark wahrgenommen wurden.
Affiliate.de: Ist die EU-Niederlassungsfreiheit angesichts der zunehmenden Flexibilität gerade von Internet-"Workern" – die ja immer zahlreicher werden - nicht eine große Gefahr für den deutschen Haushalt? In Tschechien liegt der Spitzensteuersatz bei 32%, in Estland bei 24%, in der Slowakei gar bei 19%! „Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation“ sagten Sie einmal…
EU-Kommission: Es gibt dazu in den einzelnen Bereichen ganz unterschiedliche Einschätzungen. Betrachtet man z.B. das Feld der Technologie und der Dienstleistungen hat Deutschland keinen Grund zur Sorge, weil es da einfach wettbewerbsfähig ist. Bei anderen arbeitsintensiveren Dienstleistungen ist es natürlich schwieriger. Aber auch unsere Nachbarländer im Osten haben ihre Sorgen, z.B. dass eine weitere Dienstleistungsöffnung die deutsche Industrie im Technologiebereich sehr bevorzugt. Es gibt also durchaus auch Skepsis und Sorge in anderen Ländern vor der deutschen Stärke, gerade im Dienstleistungsbereich!
Man sollte nie vergessen, dass eine Marktöffnung immer voller Chancen für ALLE ist. Die Frage ist vielmehr, wie diese Chancen in den unterschiedlichen Ländern und Sektoren genutzt werden. Es ist eine Herausforderung für die jeweiligen Industrien, sich anzupassen, sich zu reformieren und die neue Wettbewerbssituation in Betracht zu ziehen. Am Ende liegt es aber an einem selbst, wie erfolgreich das umgesetzt wird oder nicht. An dieser Stelle schwingt natürlich wieder mit, über was wir vorhin sprachen: dass die Sorge vor zukünftigen Entwicklungen in Deutschland größer ist als das Vertrauen auf das Erreichte und die eigenen Stärken. Das ist bedauerlich und muss sich ändern. Die Deutschen müssen lernen, Reformen früher als notwendig zu erkennen und besser zu akzeptieren, um dann auch die entsprechenden Vorteile daraus zu ziehen.
Affiliate.de: Der Webmaster von "auswandern.de" hatte auf seiner Website Infos über Lebens- & Arbeitsbedingungen sowie Steuern in anderen Staaten u.a. EU-Länder zur Verfügung gestellt und wurde vom Auswärtigen Amt mit Nachdruck darauf hingewiesen, selbiges doch bitte sofort zu unterlassen. Was halten Sie davon?
EU-Kommission: Davon weiß ich nichts. Ich kann das Auswärtige Amt in seinem Handeln schon gut verstehen, da die Tendenz zum Auswandern ja da ist. Und wenn es schon keinen Nachwuchs gibt, dann sollten die bestehenden qualifizierten Kräfte nicht auch noch auswandern. Ein Staat sollte immer darauf bedacht sein, die besten Leute im Land zu halten. Es ist allerdings kein Anliegen der EU-Kommission, Menschen zum Auswandern aus Deutschland zu bewegen. Aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass viele deutsche Unternehmer zur Zeit einfach bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen in anderen EU-Ländern vorfinden. England sieht das Abwandern übrigens eher "imperialistisch". Die sind sogar stolz darauf, wenn Unternehmensbereiche ins EU-Ausland verlegt werden.
Affiliate.de: Man wird oft als "Unpatriot" beschimpft, wenn man in Deutschland vom Auswandern spricht. Aus Sicht der EU ist das allerdings nur ein Umziehen im Binnenmarkt!
EU-Kommission: Das Thema Auswandern ist kein Thema der europäischen Integration. Was wir herstellen wollen ist die Möglichkeit für alle Bürger und Unternehmen, innerhalb der EU25-Union ohne Diskriminierung mobil zu sein. Auswanderung hört sich demgegenüber viel dramatischer an.
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Neue Grenzenlosigkeit: die Europäische Union
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Tatsache ist ja, dass die Wanderungszahlen innerhalb der EU nach wie vor sehr gering sind, nicht die wirtschaftliche Verflechtung, nicht der Handel, nicht die Investitionen, sondern eben die tatsächliche Auswanderung von Einzelpersonen! Natürlich nimmt jeder die Chancen dort wahr, wo er sie am Besten sieht, das ist nur menschlich. Deswegen muss jedes Land dafür arbeiten, für seine Bürger wettbewerbsfähig und wachstumsfähig zu sein und zu bleiben.
Die neuen Beitrittsländer stellen sich der Herausforderung, die allgemeine Lebensqualität weiter zu verbessern. Ich gehe mal davon aus, dass es für die meisten nicht unbedingt ein Traumbild ist, seine eigene Heimat zu verlassen, das kann ich auch aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Es hat sich auch gezeigt, dass die mit dem spanisch-portugiesischen Beitritt befürchteten Wanderungsbewegungen weitgehend ausgeblieben sind. Ähnliches lässt sich nach 8 Monaten sicher auch für die neuen EU-Länder feststellen. Natürlich gibt es in anderen Ländern auf dem Arbeitsmarkt Chancen, die größer sind als es in manchen Regionen des eigenen Landes der Fall ist. Teilweise führt das dann zu täglichem Arbeitsverkehr: schauen Sie sich mal an, wieviele Deutsche täglich über die Grenze nach Holland, Österreich oder in die Schweiz pendeln. Ich habe allerdings in der Tat eine überraschend hohe Zahl von deutschen Ärzten, Lehrern und Managern in Oslo kennengelernt. Wenn man jetzt einmal die hohe Anzahl von deutschen Ärzten in Norwegen betrachtet und wie der Mangel an jungen Ärzten insbesondere in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands deutlich wird, kann man da von einer Kluft sprechen, an der man natürlich arbeiten muss.
Zur Website der EU-Kommission
Lesen Sie auch das Interview mit Samantha Wübbeler,
Rechtsanwältin mit Spezialgebiet Internationales Steuerrecht
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